Im Januar 2020 ist es so weit, der Mietendeckel wird in Berlin eingeführt. Daniél Kretschmar bespricht in diesem Artikel, welche positiven Folgen er aus feministischer Perspektive haben wird.
Wohnungspolitik hat wie jeder grundlegende sozialpolitische Eingriff auch geschlechterpolitische Auswirkungen. Warum liegt auf der Hand: Die Erwerbsbiografien von Frauen* sind allen Gleichstellungsbemühungen zum Trotz weiterhin deutlich weniger einträglich als die von Männern*. Allein die extrem ungleiche Verteilung unbezahlter Pflege- und Sorgearbeit verursacht einen nachhaltig negativen Effekt bei der Vermögensbildung. Zusätzlich findet der nicht sonderlich sanfte Druck traditioneller Rollenbilder aller Kritik zum Trotz auch in der Steuerpolitik weiterhin seinen Widerhall. Das Ehegattensplitting ist nicht einfach nur ein Geschenk an Besserverdienende, sondern vor allem an den hochdotierten Einzelernährer – ein Gendersternchen erübrigt sich hier im Regelfall. Sag mir, wer die Steuerklasse 3 hat, und ich sage dir wer der Mann in eurer Beziehung ist.
Maßnahmen, die dazu dienen, Haushaltseinkommen, die unter dem statistischen Mittel liegen entweder zu erhöhen oder auf der Ausgabenseite zu entlasten, haben deshalb immer das Potential, die geschlechterungerechte Vermögensverteilung wenigstens ein bisschen abzufedern. Und gerade in Berlin gibt es da einiges auszugleichen. Das durchschnittliche Nettoeinkommen in der Hauptstadt beträgt pro Kopf und Jahr rund 20.000 Euro. In den vergangenen 20 Jahren ist es damit um keine zwei Prozent gewachsen. Eine hohe Zahl an prekären und/oder einfach schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen vor allem im Dienstleistungssektor können unter anderem dafür verantwortlich gemacht werden. Da nimmt sich Berlin nicht sonderlich viel im Vergleich mit anderen Großstädten, denen lohntreibende Industrien fehlen. Ähnlich sieht es mit der metropolentypisch hohen Zahl an Empfänger*innen von Transferleistungen aus.
120.000 alleinerziehende Mütter in Berlin
Überdurchschnittlich häufig sind Frauen* von diesen ungünstigen ökonomischen Bedingungen betroffen. Zwar herrscht beim ALG II ungefähre Geschlechterparität, bei den gut 500.000 (immerhin noch sozialversicherungspflichtig) in Teilzeit Beschäftigten machen Frauen jedoch etwa zwei Drittel aus. Die offensichtliche finanzielle Benachteiligung alleinerziehender Elternschaft trifft derweil mehr als 120.000 Mütter in Berlin. Mehr als ein Drittel von ihnen haben Anspruch auf ALG II. Auf einem überhitzten Wohnungsmarkt, dessen durchschnittliche Mieten sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt haben, gehören sie zu den am meisten diskriminierten Gruppen. Das Ungleichgewicht wird beim Besichtigungstermin jeder beliebigen Mietwohnung in Berlin deutlich.
Der in diesem Jahr vom Senat beschlossene Mietendeckel mag nicht vorrangig eine feministische Idee gewesen sein. Die Auswirkungen einer Wohnungspolitik, die den Spekulationsdruck verringert und der astronomischen Profiterwartung einen Riegel vorzuschieben versucht, hat aber unter anderem diese positive Dimension. Die potentielle Entlastung wiegt für die tendenziell niedrigeren Einkommensgruppen, denen Frauen überproportional oft angehören, im Zweifelsfall schließlich sehr viel schwerer. Natürlich wird diese eine Maßnahme nicht über Nacht den Wohnungsmangel beenden. Die negative Wachstumsprognose der Stadt in den Neunzigern und das Schuldenerbe des Bankenskandals hat den damaligen rot-roten Senat in den frühen 2000ern schwere Fehler bei der Weichenstellung in der Wohnungspolitik machen lassen. Nicht zuletzt der Verkauf weiter Teile des kommunalen Wohnungsbestandes fällt dem jetzigen Senat, vor allem aber den Mieter*innen böse auf die Füße. Die Folgen werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu spüren sein. Aber immerhin ist nun ein erster Schritt in die richtige Richtung getan.
Nach den Mieten, an den Einkommen drehen
Ein nächster Schritt wäre dann, die Schraube an der Einkommensseite zu drehen. Nicht zufällig ist gerade erst der sogenannte Vergabemindestlohn angehoben worden. Das heißt, dass Firmen, die Aufträge vom Land Berlin erhalten, einen Stundenlohn von mindestens 12,46 Euro zahlen müssen. Das Jahresnetto liegt dann immer noch 2.000 Euro unter dem ohnehin im Bundesvergleich geringen Berliner Durchschnitt – aber mehr Geld ist erst einmal mehr Geld. Gleiches gilt für die Rückführung von outgesourcten Landesbetrieben in die Tarifbindung und die damit zu erwartenden Lohnsteigerungen für die dort Beschäftigten.
Zusätzliche sozialpolitische Goodies, wie das kostenlose Nahverkehrsticket für Schüler*innen, werden in der Haushaltskasse einer Ein-Kind-Familie mit zwei Vollverdiener*innen keinen großen Unterschied machen. Bei den gut 40.000 alleinerziehenden Müttern auf Hartz IV aber schon. Das Leben kann besser werden, bereits ohne individuelle Bedarfsprüfung und allein durch solche relativ kleinen sozialpolitischen Eingriffe. Deren Streichung würde wiederum die strukturell am stärksten Benachteiligten mit besonderer Härte treffen. Unsoziale Politik ist deshalb immer auch eine in der Wirkung frauenfeindliche Politik. Um das zu bemerken, braucht es vielleicht nicht zwingend eine Quote in Parlamenten und Parteien, in Berlin aber hilft sie eindeutig.
Der aktuelle Berliner Senat wird von Michael Müller als regierendem Bürgermeister angeführt. Daneben amtieren sechs Senatorinnen und vier Senatoren. Auch die Fraktionen der koalierenden Parteien im Abgeordnetenhaus sind einigermaßen hart quotiert. Ihre Politik ist selbstverständlich nicht deshalb zwangsläufig sozialer oder überhaupt besser. Eines gibt aber doch sehr zu denken: Venezuela, die DDR und sowieso das Gespenst des Sozialismus wurde aus dem Hut gezaubert, als der Vorschlag zum Mietendeckel an die Öffentlichkeit gelangte. Ihre Wohnungen kaufen sollen die unzufriedenen Mieter*innen, wurde da sogar vorgeschlagen. Vorneweg zeterten die Fraktionen der Oppositionsparteien, der CDU (Frauenanteil: 13 Prozent), der FDP (17 Prozent) und der AfD (12 Prozent). Mensch, Zufälle gibt‘s...